Chance für mehr Ärzte in Lichtenberg tatkräftig nutzen!

Drucksache - DS/1885/VIII 

Die Bezirksverordnetenversammlung wolle beschließen:

Das Bezirksamt wird ersucht, im Zuge der Entscheidungen der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin u. a. den Bezirk Lichtenberg bei zukünftigen Arztansiedlungen zu priorisieren, umgehend

1. verstärkte Anstrengungen zu unternehmen, um mögliche Arztansiedlungen für alle Ortsteile in Lichtenberg zu unterstützen,

2. eine Liste von Bauvorhaben mit möglichen Arztpraxen für alle Ortsteile vorzulegen,

3. eine Liste an Praxis- und Gewerberäumen, die leer stehen bzw. durch entsprechende Maßnahmen (auch bauliche) zur Verfügung gestellt werden könnten, vorzulegen,

4. mit den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften darüber ins Gespräch zu kommen, bei Neubauprojekten Praxisräume einzuplanen und auch die privaten Bauunternehmen für die Schaffung von Praxisräumen zu gewinnen,

5. Gespräche mit den Verantwortlichen großer Einzelhandelszentren (u. a. Linden Center) für die Schaffung von Arztpraxen aufzunehmen,

6. Headhunter für die Suche u. a. von Hausärzten einzuschalten,

7. das u. a. durch Lotto-Mittel unterstützte Projekt der "sozialen Beratungen in Arztpraxen" in Abstimmung mit dem Berliner Senat zu verstetigen,

8. den bezirklichen "Lotsen" (vgl. DS/1229/VIII) für neue Arztansiedlungen öffentlich sichtbarer zu machen und in regen Kontakt mit der KV zu bringen,

9. mit dem Jobcenter über eine Initiative zur Aus-, Um- und Weiterbildung von Praxispersonal in den Austausch zu kommen,

10. die Planung seitens der Kassenärztlichen Vereinigung, eigene Medizinische Versorgungszentren (MVZ) schnellstmöglich aufzubauen und mit geeigneten Partnern (u. a. Sana-Klinikum) aus der Region zu betreiben, zu unterstützen, um neben dem Bedarf an Hausärzten auch Fachärzte für unsere Region zu gewinnen.

Für die guten Standortbedingungen in Lichtenberg soll das Bezirksamt in geeigneter Weise öffentlich werben. In jedem Fall ist sicherzustellen, dass die Gespräche mit der Kassenärztlichen Vereinigung verstetigt werden, um die entsprechenden Maßnahmen aller Beteiligten, u. a. auch des Bezirksamtes, einer Erfolgskontrolle zu unterziehen. Der BVV ist bis spätestens Januar 2021 erstmalig zu berichten.

Begründung:

Eine adäquate hausärztliche Versorgung kann in Lichtenberg und den dazugehörigen Ortsteilen, insbesondere Hohenschönhausen und Friedrichsfelde Nord, nicht mehr sichergestellt werden. Mit einem Versorgungsquotienten von rund 80 % steht unser Bezirk kurz vor einer hausärztlichen Unterversorgung.

Folge dieses geringeren Versorgungsquotienten ist der Verlust von Lebensqualität im Bezirk.  Bestehende Praxen können keine Patienten mehr aufnehmen. Viele Patienten können ggf. nicht mehr wohnortnah behandelt werden, sie müssen längere Wege in Kauf nehmen. Der Arzt-Patienten-Kontakt wird zeitlich weiter verdichtet, die Patienten fühlen sich nicht mehr gut versorgt.

Die Lotsenfunktion, die ein Hausarzt als primärer Ansprechpartner innehat, kann bei einer Unterversorgung nicht mehr erfüllt werden. In der Koordination der Zusammenarbeit von verschiedenen Fachärzten spielt diese Lotsenfunktion eine zentrale Rolle.

Mit Blick auf die weitere Entwicklung Lichtenbergs und der damit einhergehenden Steigerung der Einwohnerzahlen, wird sich die Versorgungslage weiter verschlechtern. Diese Zuspitzung wird sich auf die Gesundheit der Einwohnerinnen und Einwohner auswirken. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass in den kommenden fünf Jahren rund 800 Medizinerinnen und Mediziner in Berlin das Rentenalter erreichen.

Die Kassenärztliche Vereinigung Berlin hat mit den Krankenkassen einen finanziellen Anreiz herausgearbeitet, in dem neue Ärztinnen und Ärzte, die sich niederlassen, innerhalb der ersten acht Quartale ein Zuschuss von zwei Cent pro Behandlungspunkt gewährt wird (insgesamt bis zu ca. 64.000 Euro). Dieser Schritt ist als eine Unterstützung für die Medizinerinnen und Mediziner zu sehen, die den Schritt in die Selbstständigkeit gehen. Eine Umfrage des Hartmannbundes (bezogen auf eine Niederlassung auf dem Land) hat ergeben, dass für 59 % der Befragten die kostenfreie Bereitstellung von Praxisräumen eine Voraussetzung wäre, um auf dem Land zu arbeiten1. Der Wunsch der Bereitstellung von Praxisräumen lässt sich auch auf die Situation in Lichtenberg beziehen.

Zielgruppe dieser Maßnahmen sind Medizinerinnen und Mediziner, die sich selbstständig niederlassen wollen. Diese Schritte allein werden der Entwicklung nicht gerecht, dass junge Medizinerinnen und Mediziner seltener als Selbständige in einer Einzelpraxis arbeiten wollen. Somit muss parallel eine Struktur geschaffen werden, in der Ärztinnen und Ärzte in einem angestellten Verhältnis arbeiten können.

Zwar plant die KV-Berlin die Bildung und das Betreiben von Medizinischen Versorgungszentren, dies aber erst, wenn die ersten Maßnahmen nicht greifen. Der Bezirk Lichtenberg benötigt jedoch jetzt bereits nachhaltige Lösungen, daher sollte die Schaffung von MVZ parallel zur Suche von neuen selbstständigen Ärzten erfolgen. Die aktuelle Gesetzeslage ermöglicht die Bildung und das Betreiben von kommunalen MVZ2.  Ferner wäre es hilfreich mithilfe von Medizinischen Versorgungszentren die Möglichkeit zu haben, flexibel auf Ärztemängel reagieren zu können, indem vorhandene Räume modular und nachfrageorientiert angepasst werden können.

Die Forderungen lassen sich auf die gesamte primärärztliche Versorgung übertragen. Der Bezirk ist somit ebenso bei der Sicherstellung der Versorgung mit den Fachgebieten Gynäkologie, Augenheilkunde, Kinderheilkunde und Dermatologie gefordert. Auch hier gilt es für das Bezirksamt entsprechende Weichen zu stellen, um mehr Ärzte für unseren Bezirk zu gewinnen.

https://www.aerzteblatt.de/archiv/178641/Aerztliche-Versorgung-auf-dem-Land-Die-Kommunen-sind-gefordert (abgerufen 27.09.20)

https://www.medical-tribune.de/praxis-und-wirtschaft/niederlassung-und-kooperation/artikel/praxisnachfolge-kommunale-mvz-sind-fuer-abgebende-aerzte-potenzielle-rettungsanker/ (abgerufen 27.09.20)

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